Der russische Krieg gegen die Ukraine hat das Vertrauen erheblich beeinträchtigt, die Energie- und Nahrungsmittelpreise weiter in die Höhe getrieben und in Verbindung mit den pandemiebedingten Störungen in China die bestehenden Spannungen in den Lieferketten verstärkt. Diese Faktoren belasten die wirtschaftliche Erholung im Euroraum stark, während gleichzeitig die Lockerung der pandemiebedingten Einschränkungen dem Dienstleistungssektor einen kräftigen Impuls verleiht.[1] Den Basisprojektionen liegen die Annahmen zugrunde, dass die derzeitigen Sanktionen gegen Russland (einschließlich des Ölembargos der EU) über den gesamten Projektionszeitraum hinweg aufrechterhalten werden, die intensive Phase des Kriegs in der Ukraine ohne weitere Eskalationen bis Ende des laufenden Jahres andauert, die Störungen der Energieversorgung nicht zu Rationierungen in den Ländern des Euroraums führt und die Lieferengpässe bis Ende 2023 allmählich überwunden werden. All dies lässt auf deutlich schwächere (wenn auch immer noch positive) Wachstumsaussichten auf kurze Sicht schließen, wobei die widrigen Faktoren nach 2022 abklingen und das Wachstum mittelfristig etwas über dem historischen Durchschnitt liegen dürfte. Dies spiegelt eine allmähliche Erholung von den wirtschaftlichen Folgen der Pandemie sowie eine Abschwächung der negativen Auswirkungen des Kriegs angesichts insgesamt robuster Arbeitsmärkte wider. Das Wachstum des realen BIP des Euroraums beträgt den Projektionen zufolge 2022 durchschnittlich 2,8 % (davon sind 2,0 Prozentpunkte auf den statistischen Überhang aus dem Jahr 2021 zurückzuführen) und 2023 und 2024 jeweils 2,1 %. Gegenüber den EZB-Projektionen vom März 2022 wurde der Ausblick für das Wachstum für 2022 um 0,9 Prozentpunkte und für 2023 um 0,7 Prozentpunkte nach unten korrigiert, was vorwiegend auf die wirtschaftlichen Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine zurückzuführen ist. Gleichzeitig wurde das Wachstum für 2024 um 0,5 Prozentpunkte nach oben korrigiert, was auf eine mit dem Abklingen der widrigen Faktoren einhergehende konjunkturelle Erholung zurückzuführen ist.
Nach dem sprunghaften Anstieg der Inflation Anfang 2022 wird mit einer höheren und länger anhaltenden Inflation gerechnet. Die HVPI-Gesamtinflation dürfte über weite Strecken des Jahres 2022 mit durchschnittlich 6,8 %[2] sehr hoch bleiben, ab 2023 allmählich zurückgehen und sich in der zweiten Jahreshälfte 2024 dem Inflationsziel der EZB annähern. Der Preisdruck wird aufgrund der erhöhten Öl- und Gaspreise, der maßgeblich durch den Krieg in der Ukraine bedingten Preissteigerungen bei Nahrungsmittelrohstoffen sowie der Auswirkungen des Wiederhochfahrens der Wirtschaft und der weltweiten Lieferengpässe auf kurze Sicht außergewöhnlich hoch bleiben. Der erwartete Rückgang der Inflation auf 3,5 % im Jahr 2023 und auf 2,1 % im Jahr 2024 resultiert in erster Linie aus der Annahme, dass sich die Preise für Energie- und Nahrungsmittelrohstoffe ohne weitere Schocks entspannen, wie derzeit aus den Preisen für Terminkontrakte ersichtlich. Zudem wird die anhaltende Normalisierung der Geldpolitik, soweit sie sich (im Einklang mit den Markterwartungen) in höheren Zinsannahmen niederschlägt, mit den üblichen Transmissionsverzögerungen zur Dämpfung der Inflation beitragen. Die HVPI-Inflation ohne Energie und Nahrungsmittel wird bis Ende 2022 sehr hoch bleiben. Danach dürfte sie allerdings zurückgehen, wenn der Aufwärtsdruck infolge des Wiederhochfahrens der Wirtschaft sowie die Lieferengpässe und der Kostendruck bei den Vorleistungen für Energie abklingen. Die anhaltende wirtschaftliche Erholung, die zunehmend angespannte Lage an den Arbeitsmärkten und gewisse Effekte des Ausgleichs für die höhere Inflation auf die Löhne, deren Anstieg deutlich über dem historischen Durchschnitt liegen dürfte, deuten bis zum Ende des Projektionszeitraums auf eine erhöhte zugrunde liegende Inflation hin, wenngleich im Basisszenario davon ausgegangen wird, dass die längerfristigen Inflationserwartungen fest verankert bleiben. Im Vergleich zu den EZB-Projektionen vom März 2022 wurde die Inflation deutlich nach oben korrigiert. Zurückzuführen ist dies auf neue unerwartete Daten, höhere Rohstoffpreise für Energie- und Nahrungsmittel, einen länger anhaltenden, durch Lieferstörungen bedingten Aufwärtsdruck, ein kräftigeres Lohnwachstum und die Abwertung des Euro-Wechselkurses. Diese Effekte gleichen den von höheren Zinsannahmen und schwächeren Wachstumsaussichten ausgehenden Abwärtsdruck mehr als aus.
Projektionen für das Wachstum und die Inflation im Euroraum
Angesichts der hohen Unsicherheit in Bezug auf die Wirtschaftsaussichten werden die Projektionen um ein Abwärtsszenario ergänzt, das die Möglichkeit einer schwerwiegenden Störung der europäischen Energieversorgung beinhaltet, die zu weiteren kräftigen Erhöhungen der Energiepreise und zu Produktionsdrosselungen führen könnte. In diesem Szenario liegt die Inflation 2022 bei durchschnittlich 8,0 % und 2023 bei durchschnittlich 6,4 %, bevor sie 2024 unter die Basisprojektion zurückfällt und bei 1,9 % liegt. In diesem Profil kommen ein kräftiger Anstieg der Rohstoffpreise bis Ende 2022 und ein deutlicher Rückgang danach zum Ausdruck. In diesem Szenario wächst das reale BIP 2022 nur um 1,3 %, schrumpft 2023 um 1,7 % und bleibt 2024 – trotz einer Erholung um 3 % – über den gesamten Projektionszeitraum hinweg deutlich hinter dem Niveau aus dem Basisszenario zurück. Der vorliegende Bericht enthält auch Sensitivitätsanalysen in Bezug auf wichtige Elemente des Abwärtsszenarios und in Bezug auf die Auswirkungen einer stärkeren Lohnindexierung und divergierender Energiepreisentwicklungen auf die Basisprojektionen.
1 Realwirtschaft
Das Wachstum des realen BIP erhöhte sich im ersten Quartal 2022 trotz der pandemiebedingten Einschränkungen, der anhaltenden Spannungen in den Lieferketten, des sprunghaften Anstiegs der Energie- und Nahrungsmittelpreise sowie der Unsicherheit im ersten Quartal 2022 aufgrund des Kriegs in der Ukraine auf 0,6 %. Dieses Ergebnis lag über den EZB-Projektionen vom März 2022 (0,2 %), war jedoch aufgrund der Geschäftstätigkeit großer multinationaler Unternehmen mit Sitz in Irland stark von Volatilität geprägt und könnte daher die Stärke der zugrunde liegenden Binnenkonjunktur im Euroraum überzeichnen.[3] Die privaten Konsumausgaben verringerten sich im ersten Quartal weiter. Grund dafür waren die verschärften pandemiebedingten Einschränkungen zum Jahreswechsel, die allerdings ab März schrittweise deutlich gelockert wurden, und ein inflationsbedingter Rückgang des real verfügbaren Einkommens. Dahingegen wirkten sich der Außenhandel und die Vorratsveränderungen im ersten Quartal 2022 positiv auf das Wachstum aus.
Abbildung 1
Wachstum des realen BIP im Euroraum
Für das zweite Quartal 2022 wird mit einem verhaltenen Wachstum des realen BIP gerechnet (siehe Abbildung 1). Wachstumshemmende Faktoren sind hohe Energie- und Nahrungsmittelpreise, anhaltende Lieferengpässe und eine hohe Unsicherheit. Zugleich wirkt sich das Auslaufen der pandemiebedingten Einschränkungen vor dem Hintergrund eines großen Bestands an überschüssigen Ersparnissen stützend auf das Wachstum aus. Konjunkturdaten und Umfrageindikatoren deuten darauf hin, dass die Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine bereits den Güterkonsum der privaten Haushalte beeinträchtigen. Gleichwohl dürfte der Wiederanstieg des Konsums kontaktintensiver Dienstleistungen im zweiten Quartal weiterhin einen Anstieg der privaten Konsumausgaben bewirken. Insgesamt haben diese Faktoren gegenüber den Projektionen vom März 2022 zu einer deutlichen Abwärtskorrektur des realen BIP-Wachstums geführt, auf 0,2 % im zweiten Quartal 2022 (−0,8 Prozentpunkte) und auf 0,4 % im dritten Quartal 2022 (−0,6 Prozentpunkte).
Über den kurzfristigen Horizont hinaus dürfte das Wachstum mit dem Abklingen der widrigen Faktoren allmählich zunehmen, wenngleich das BIP über den gesamten Projektionszeitraum hinweg deutlich unter dem Niveau bleiben dürfte, das in früheren Eurosystem-Projektionen erwartet wurde. Die erwartete Verbesserung beruht auf der Annahme, dass die intensive Phase des Kriegs in der Ukraine bis Ende 2022 beendet ist, die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie weiter nachlassen und sich das Konsumverhalten normalisiert, die Lieferengpässe bis Ende 2023 abgebaut werden und das Exportwachstum durch eine bessere preisliche Wettbewerbsfähigkeit gegenüber wichtigen Handelspartnern, wie den Vereinigten Staaten, und durch eine Erholung der Auslandsnachfrage gestützt wird. Die höhere Inflation, die durch die Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine auf die Rohstoffpreise weiter verstärkt wird, dürfte zu einem Rückgang des real verfügbaren Einkommens führen und den realen Wert des während der Pandemie aufgebauten hohen Bestands an Ersparnissen verringern und somit den Konsum auf kurze Sicht dämpfen. Auf mittlere Sicht dürften sinkende Inflationsraten dazu führen, dass das Realeinkommen allmählich wieder zunimmt und der Konsum stimuliert wird. Auch die negativen Auswirkungen eines schwächeren Vertrauens und einer erhöhten Unsicherheit, die kurzfristig zu einem Vorsorgesparen führen werden, dürften nachlassen. Nach den umfangreichen Stützungsmaßnahmen der Regierungen für die Wirtschaft während der Covid-19-Krise in den Jahren 2020 und 2021, der Erwartung höherer Investitionen für das Jahr 2022, die über das Programm Next Generation EU (NGEU) finanziert werden, und den kürzlichen Stützungsmaßnahmen im Zusammenhang mit den hohen Energiepreisen und dem Krieg in der Ukraine, dürfte sich die Finanzpolitik im Jahr 2023 negativ auf das Wachstum auswirken, da einige dieser Maßnahmen wegfallen. Der finanzpolitische Kurs dürfte zum Ende des Projektionszeitraums lockerer bleiben als im Zeitraum vor der Pandemie, was sich positiv auf das BIP auswirkt. Angesichts der nach unten korrigierten kurzfristigen Aussichten und der Erwartung einer nur teilweisen Erholung auf mittlere Sicht dürfte das reale BIP über den Projektionszeitraum hinweg insgesamt deutlich unter dem in den Projektionen vom März 2022 erwarteten Wachstumspfad bleiben (siehe Abbildung 2).
Abbildung 2
Reales BIP des Euroraums
Die Aussichten für die Konjunktur im Euroraum sind von sehr großer Unsicherheit im Zusammenhang mit dem Verlauf des Kriegs in der Ukraine geprägt. Ein wesentliches Risiko ergibt sich aus einer eventuellen schwerwiegenden Störung der europäischen Energieversorgung, die zu weiteren kräftigen Erhöhungen der Energiepreise und zu Produktionsdrosselungen führen könnte. Ein Abwärtsszenario, das die Auswirkungen dieser und anderer Risiken im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine auf die Konjunktur und Preisentwicklung widerspiegelt, wird in Kasten 3 beschrieben.
Tabelle 1
Gesamtwirtschaftliche Projektionen für den Euroraum
Betrachtet man die Komponenten des BIP, so werden sich die privaten Konsumausgaben den Projektionen zufolge im Jahr 2022 trotz deutlich wachstumshemmender Faktoren aufgrund der höheren Inflation und einer erhöhten Unsicherheit infolge des Kriegs in der Ukraine erholen. Nachdem die privaten Konsumausgaben zwei Quartale in Folge rückläufig waren, dürften sie sich ab dem zweiten Quartal 2022 wieder erholen, da die Lockerung der Covid-19-bedingten Einschränkungen die Nachfrage nach kontaktintensiven Dienstleistungen wieder ansteigen ließ. Dies dürfte die wachstumshemmenden Faktoren durch eine stark gestiegene Unsicherheit, die negativen Vertrauenseffekte und die höheren Energie- und Nahrungsmittelpreise, die auf die militärische Aggression Russlands gegen die Ukraine zurückzuführen sind, mehr als ausgleichen. Gleichzeitig wird erwartet, dass das Konsumwachstum zu einem gewissen Grad durch energiebezogene finanzpolitische Ausgleichsmaßnahmen sowie durch den teilweisen Abbau der aufgebauten überschüssigen Ersparnisse gestützt wird. Es wird das Wachstum des Realeinkommens im kommenden Jahr weiterhin übersteigen. Gegen Ende des Projektionszeitraums dürfte sich das Wachstum der privaten Konsumausgaben abschwächen. Für 2022 und 2023 wurde es gegenüber den Projektionen vom März 2022 deutlich nach unten korrigiert, was auf ein vermehrtes Vorsorgesparen, eine höhere Inflation und eine Verschärfung der Lieferengpässe für einige Konsumgüter zurückzuführen ist.
Höhere Inflationsraten verschärfen den Rückgang des real verfügbaren Einkommens im Jahr 2022 trotz einer sehr dynamischen Lohnentwicklung angesichts robuster Arbeitsmärkte. Das real verfügbare Einkommen dürfte im ersten Quartal des laufenden Jahres vor dem Hintergrund einer höheren Inflation und niedrigerer Nettotransferleistungen stark zurückgegangen sein. Den Projektionen zufolge wird es gegen Ende des Jahres vor allem aufgrund der angespannten Arbeitsmarktlage und des dynamischen Lohnwachstums allmählich wieder eine positive Entwicklung aufweisen. Finanzpolitische Maßnahmen zum Ausgleich der hohen Energiepreise, die sich in den Jahren 2021 und 2022 auf einen Gesamtumfang von rund 1,4 % des verfügbaren Einkommens der privaten Haushalte belaufen, sollten die Kaufkraft der privaten Haushalte, insbesondere der Haushalte mit geringem Einkommen, zu einem gewissen Grad abfedern.
Die Sparquote der privaten Haushalte dürfte leicht unter das Vorkrisenniveau sinken, bevor sie sich gegen Ende des Projektionszeitraums stabilisiert. Es wird erwartet, dass die Sparquote im Verlauf des Jahres 2022 sinkt, wenn sich das Sparverhalten der Verbraucher mit der Lockerung der pandemiebedingten Einschränkungen normalisiert. Bedingt durch das Vorsorgesparen, das auf die Unsicherheit infolge des Kriegs in der Ukraine zurückzuführen ist, dürfte die Sparquote jedoch auf kurze Sicht langsamer sinken als in den Projektionen vom März 2022 angenommen. Darüber hinaus dürfte der hohe Bestand an überschüssigen Ersparnissen, die private Haushalte während der Pandemie aufgebaut haben, einen Puffer bilden, mit dem der Konsum als Reaktion auf den Energiepreisschock geglättet werden kann. Gleichzeitig wurde der reale Wert dieser Ersparnisse durch den Anstieg der Inflation teilweise geschmälert. Die Verwendung dieser akkumulierten Ersparnisse wird auch durch Verteilungsfaktoren eingeschränkt, insbesondere durch die Konzentration solcher Ersparnisse auf private Haushalte mit wohlhabenderen oder älteren Mitgliedern, deren Konsumneigung weniger ausgeprägt ist. Schließlich sind die privaten Haushalte mit geringerem Einkommen am stärksten vom Energie- und Nahrungsmittelpreisschock betroffen, da sie tendenziell einen größeren Anteil ihres Einkommens für Energie und Nahrungsmittel ausgeben und während der Pandemie geringere Ersparnisse aufgebaut haben.
Kasten 1
Technische Annahmen im Hinblick auf Zinssätze, Rohstoffpreise und Wechselkurse
Gegenüber den Projektionen vom März 2022 enthalten die technischen Annahmen wesentlich höhere Zinssätze, höhere Öl- und Gaspreise sowie höhere Rohstoffpreise für Energie (ohne Öl) und einen schwächeren Euro. Die technischen Annahmen zu den Zinssätzen und Rohstoffpreisen beruhen auf den Markterwartungen; Redaktionsschluss war der 17. Mai 2022. Die Kurzfristzinsen beziehen sich auf den Dreimonats-EURIBOR, wobei die Markterwartungen von der Entwicklung der Terminkontrakte abgeleitet werden. Bei Anwendung dieser Methode ergibt sich für die Kurzfristzinsen ein Durchschnittsniveau von 0,0 % für 2022, 1,3 % für 2023 und 1,6 % für 2024. Die Markterwartungen bezüglich der nominalen Renditen zehnjähriger Staatsanleihen im Euroraum implizieren ein durchschnittliches jährliches Niveau von 1,4 % für 2022, das über den Projektionszeitraum hinweg allmählich auf 2,1 % für 2024 ansteigt.[4] Gegenüber den Projektionen vom März 2022 wurden die Markterwartungen hinsichtlich der kurzfristigen Zinssätze für 2022, 2023 und 2024 um rund 40, 100 bzw. 90 Basispunkte nach oben korrigiert, da mit einer weltweiten Verschärfung des geldpolitischen Kurses gerechnet wird. Dies hat auch dazu geführt, dass die Renditen langfristiger Staatsanleihen für 2022, 2023 und 2024 um rund 60, 90 bzw. 100 Basispunkte nach oben korrigiert wurden.
Was die auf Terminkontraktpreisen beruhenden, über die zehn Arbeitstage vor dem Redaktionsschluss hinweg gemittelten Rohstoffpreise betrifft, so wird angenommen, dass der Preis pro Barrel Rohöl der Sorte Brent von durchschnittlich 71,1 USD im Jahr 2021 auf 105,8 USD im Jahr 2022 ansteigt, bevor er bis 2024 wieder auf 84,3 USD zurückgeht. Somit würden sich die auf US-Dollar lautenden Ölpreise infolge des geringeren Angebots aus Russland aufgrund der Sanktionen (siehe Kasten 2) gegenüber den Projektionen vom März 2022 im Jahr 2022 um 14 %, im Jahr 2023 um 13 % und im Jahr 2024 um 9 % erhöhen. Die den Eurosystem-Projektionen zugrunde gelegten technischen Annahmen wurden kürzlich um Annahmen zu den Großhandelspreisen für Gas erweitert. Es wird angenommen, dass die Gaspreise pro MWh durchschnittlich von 47 € im Jahr 2021 auf 99 € im Jahr 2022 steigen, bevor sie im Jahr 2024 wieder auf 63 € sinken.[5] Die Sensitivitätsanalysen in Kasten 5 berücksichtigen die Auswirkungen anderer Annahmen für Energiepreise als jene, die den Basisprojektionen zugrunde liegen.
Den Annahmen zufolge werden die in US-Dollar gerechneten Preise für Rohstoffe ohne Energie 2022 ansteigen und 2023 und 2024 wieder zurückgehen. Den auf Terminkontraktpreisen beruhenden Annahmen zufolge wird der Preis pro Tonne der im Emissionshandelssystem (EHS) der EU gehandelten Treibhausgasemissionszertifikate 2022 bei 89,7 €, 2023 bei 93,2 € und 2024 bei 97,3 € liegen.
Es wird angenommen, dass die bilateralen Wechselkurse über den Projektionszeitraum hinweg unverändert auf dem durchschnittlichen Niveau bleiben, das in den zehn Arbeitstagen bis zum Redaktionsschluss herrschte. Dies impliziert einen durchschnittlichen USD/EUR-Wechselkurs von 1,07 im Jahr 2022 und 1,05 in den Jahren 2023 und 2024, der gegenüber den Projektionen vom März 2022 um etwa 6 % niedriger ist. Die Annahme für den effektiven Wechselkurs des Euro impliziert eine Abwertung um 2 % gegenüber den Projektionen vom März 2022.
Technische Annahmen
Das Wachstum der Wohnungsbauinvestitionen wird sich den Projektionen zufolge auf kurze Sicht verlangsamen, bevor es wieder allmählich anzieht. Der russische Krieg in der Ukraine hat den Mangel an Arbeitskräften und Rohstoffen verschärft. Zudem haben sich die Finanzierungsbedingungen angesichts verschärfter Kreditrichtlinien und einer erhöhten Unsicherheit verschlechtert. Zusammengenommen dürften diese Faktoren das Wachstum der Wohnungsbauinvestitionen auf kurze Sicht erheblich verlangsamen. Auf mittlere Sicht sollte das Wachstum der Wohnungsbauinvestitionen jedoch allmählich anziehen, getragen von einer starken Nachfrage, insbesondere von Haushalten mit höherem Einkommen, sowie abklingenden Lieferstörungen und einer nachlassenden Unsicherheit. Insgesamt dürfte das Wachstum der Wohnungsbauinvestitionen über den Projektionszeitraum hinweg verhalten bleiben, da sich die Finanzierungsbedingungen vor dem Hintergrund einer Normalisierung der Zinssätze den Projektionen zufolge weiter verschlechtern, wodurch die Auswirkungen der positiven „Tobin’s-Q“-Effekte[6] und des steigenden verfügbaren Einkommens ausgeglichen werden.
Die Unternehmensinvestitionen dürften aufgrund des Kriegs in der Ukraine auf kurze Sicht gedämpft werden, sich aber erholen, sobald die geopolitischen Spannungen nachlassen, die Lieferengpässe abgebaut werden und die Mittel aus dem NGEU-Programm ausgezahlt werden. Die erhöhte Unsicherheit, der Anstieg der Energiepreise, die verschärften Finanzierungsbedingungen, die verstärkten Lieferengpässe, ein gesunkenes Unternehmervertrauen und eine geringere Kapazitätsauslastung sowie eine schlechtere Einschätzung der Auftragslage der Investitionsgüterproduzenten deuten allesamt auf ein schwächeres Wachstum der Unternehmensinvestitionen im Jahr 2022 hin. Im Zuge abklingender Lieferengpässe und unter der Annahme, dass die Unsicherheit allmählich abnimmt, dürften die Investitionen ab 2023 wieder auf einen dynamischeren Wachstumspfad zurückkehren. Auf mittlere Sicht dürften die Zinsen für Kredite an nichtfinanzielle Kapitalgesellschaften im Vergleich zu ihren historischen Durchschnittswerten in realer Rechnung zwar steigen, aber nach wie vor relativ günstig bleiben. Darüber hinaus werden die positiven Auswirkungen des NGEU-Programms, das für 2022 und darüber hinaus prognostizierte Gewinnwachstum sowie die höheren Ausgaben im Zusammenhang mit der Dekarbonisierung der europäischen Wirtschaft und der Verringerung der Abhängigkeit von russischen Energielieferungen allesamt den Unternehmensinvestitionen Aufwind verleihen.
Kasten 2
Das außenwirtschaftliche Umfeld
Die wirtschaftlichen Folgen des Kriegs in der Ukraine und der Lockdown-Maßnahmen in China stellen auf kurze Sicht ein bedeutendes Hemmnis für das weltweite Wirtschaftswachstum dar. Der Krieg wirkt durch seine Auswirkungen auf die Rohstoffpreise, Lieferketten und die geopolitische Unsicherheit weit über Länder und Regionen hinaus, die durch den Handel und Finanzverbindungen eng mit Russland und der Ukraine verbunden sind. Er belastet nicht nur das globale Wirtschaftswachstum, sondern verschärft auch den ohnehin schon erhöhten Inflationsdruck. Das Wiederaufflammen der Covid-19-Pandemie und die damit einhergehende Verschärfung der Eindämmungsmaßnahmen in Asien, insbesondere in China, verstärken den Druck auf die globalen Lieferketten. Diese widrigen Faktoren wirken in einem von erhöhtem Inflationsdruck geprägten Umfeld, das neben anderen Faktoren die Zentralbanken weltweit zu einer Anpassung ihrer Geldpolitik veranlasst und somit zu restriktiveren Finanzierungsbedingungen beigetragen hat.
Das globale reale BIP (ohne Euroraum) wird den Projektionen zufolge 2022 um 3,0 %, 2023 um 3,4 % und 2024 um 3,6 % wachsen – ein schwächerer Wachstumspfad gegenüber den Projektionen vom März 2022. Das relativ flache Wachstumsprofil für die Weltwirtschaft in den späteren Jahren des Projektionszeitraums verdeckt Unterschiede zwischen den fortgeschrittenen Volkswirtschaften und den Schwellenländern. In den fortgeschrittenen Volkswirtschaften dürfte das Wachstum im Jahr 2023 zurückgehen und sich anschließend infolge auslaufender politischer Stützungsmaßnahmen und eines erhöhten, wenn auch allmählich nachlassenden Inflationsdrucks stabilisieren, wenn die Erholung von dem durch die Pandemie ausgelösten Schock voranschreitet. Die Wachstumsaussichten der Schwellenländer für das laufende Jahr haben sich angesichts eines schwächeren Wachstums in China, vor allem aber aufgrund einer deutlichen Verschlechterung der Wachstumsaussichten für Russland und die Ukraine, eingetrübt. Den Projektionen zufolge wird die Konjunktur in den Schwellenländern im verbleibenden Projektionszeitraum jedoch allmählich anziehen.
Die russische Wirtschaft dürfte im laufenden Jahr in eine tiefe Rezession fallen. Diese Aussichten sind auf schärfere Wirtschaftssanktionen zurückzuführen, die seit den Projektionen vom März 2022 verhängt wurden, einschließlich eines Embargos auf Importe von Energierohstoffen aus Russland durch das Vereinigte Königreich und die Vereinigten Staaten sowie der Zusage aller G7-Länder, den Import von russischem Öl so bald wie möglich einzustellen oder zu verbieten. Nach einem vorangegangenen Embargo auf Kohleimporte hat die EU beschlossen, Ölimporte schrittweise zu verbieten. Die Auswirkungen der Sanktionen auf die Konjunktur in Russland werden durch breiter angelegte Boykotts des privaten Sektors verstärkt, die Störungen in der Produktion und der Logistikbranche verursacht haben. Gleichzeitig belasteten die steigende Inflation und restriktive Finanzierungsbedingungen die Binnennachfrage. Die Projektionen gehen von einer tiefen Rezession und einer nur verhaltenen Erholung aus, wobei angenommen wird, dass die bislang verhängten wirtschaftlichen Sanktionen über den gesamten Projektionszeitraum hinweg unverändert bleiben.
Die pandemiebedingten Störungen in Asien und die Folgen des Kriegs in der Ukraine werden den Welthandel auf kurze Sicht erheblich belasten. Trotz der jüngsten Verschärfung der Störungen in den globalen Lieferketten dürften deren Auswirkungen bis Ende 2023 allmählich nachlassen, da davon ausgegangen wird, dass die Auswirkungen des Kriegs und der pandemiebedingten Störungen auf die globalen Produktionsketten nur vorübergehend sind. Folglich werden die weltweiten realen Importe (ohne Euroraum) den Projektionen zufolge 2022 um 4,3 %, 2023 um 3,1 % und 2024 um 3,7 % zunehmen. Gegenüber den Projektionen vom März wurden die Zahlen für das laufende und das kommende Jahr nach unten korrigiert. Für 2024 blieben sie hingegen weitgehend unverändert. Das prognostizierte Wachstum für die Auslandsnachfrage nach Produkten des Euroraums fällt verhaltener aus und wurde im Vergleich zu den weltweiten Importen deutlicher nach unten korrigiert, da europäische Länder außerhalb des Euroraums mit engeren wirtschaftlichen Verbindungen zu Russland und der Ukraine zu den am stärksten von den kriegsbedingten wirtschaftlichen Schocks betroffenen Ländern zählen. Da diese Region auch enge Handelsbeziehungen zum Euroraum hat, dürfte die Auslandsnachfrage nach Produkten des Euroraums auf kurze Sicht zurückgehen und sich anschließend allmählich erholen.
Es wird erwartet, dass der bereits erhöhte Inflationsdruck durch Störungen in den globalen Lieferketten und Rohstoffmärkten verstärkt wird. In den OECD-Ländern (ohne Türkei) beschleunigte sich die am Verbraucherpreisindex gemessene jährliche Gesamtinflation im April auf 7,1 % und erreichte damit ihren höchsten Stand seit mehr als drei Jahrzehnten. Umfragedaten zu den Vorleistungs- und Verkaufspreisen im verarbeitenden Gewerbe und im Dienstleistungssektor bestätigen den erhöhten Inflationsdruck auf Erzeuger und Verbraucher. Der im laufenden Jahr beobachtete allgemeine Anstieg der globalen Rohstoffpreise dürfte den bereits erhöhten Inflationsdruck auf kurze Sicht weiter verstärken. Dies gilt insbesondere für Schwellenländer, in denen Energie und Nahrungsmittel zusammengenommen einen größeren Anteil der Konsumausgaben bilden als in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften. In wichtigen fortgeschrittenen Volkswirtschaften sind die starke Nachfrage und die steigenden Löhne bei angespannter Arbeitsmarktlage ebenfalls wichtige Antriebskräfte des Inflationsanstiegs.
Das außenwirtschaftliche Umfeld
Die Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine und verschärfte Versorgungsengpässe werden die Erholung des Handels auf kurze Sicht belasten. Im Jahr 2023 dürfte die Erholung jedoch wieder in Gang kommen. Nachdem Ende 2021 Anzeichen einer Erholung der Auslandsnachfrage nach Produkten des Euroraums erkennbar waren, dämpfen nun der Krieg in der Ukraine und Lieferengpässe in China die kurzfristigen Aussichten für die Exporte des Euroraums. Gewisse durch die Abwertung des Euro und die relativ hohen Exportpreise wichtiger Handelspartner bedingte Verbesserungen der preislichen Wettbewerbsfähigkeit und die erwartete Erholung des Dienstleistungssektors gleichen die negativen Auswirkungen des Kriegs nur teilweise aus. Insgesamt wurde das jährliche Wachstum des Exportvolumens des Euroraums für 2022 und 2023 deutlich nach unten korrigiert. Bei den Importen hat die auf kurze Sicht erwartete schwache Konjunktur im Euroraum ebenfalls zu niedrigeren Zuwachsraten geführt. Die Nettoexporte dürften 2022 nur moderat zum Wachstum des BIP beitragen. Unter der Annahme, dass die Auswirkungen des Konflikts, Lieferengpässe und pandemiebedingten Restriktionen in Asien ab der zweiten Jahreshälfte 2022 nachlassen, sollte sich der Handel des Euroraums ab dann wieder allmählich seinem langfristigen Wachstumskurs annähern.
Den Projektionen zufolge wird der Arbeitsmarkt die Auswirkungen des Kriegs relativ gut verkraften. Die Beschäftigung wird 2022 voraussichtlich um 1,9 % wachsen, da die Lockerung der Covid-19-bedingten Einschränkungen trotz der aufgrund der nachteiligen wirtschaftlichen Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine schwächeren Nachfrage nach Arbeitskräften im verarbeitenden Gewerbe zu einer wirtschaftlichen Wiederbelebung von kontaktintensiven Dienstleistungen führt. Es wird erwartet, dass das Beschäftigungswachstum 2023 bei 0,5 % und 2024 bei 0,4 % liegt. Die Arbeitslosenquote war im ersten Quartal 2022 niedriger als erwartet und dürfte sich nach den sukzessiven Abwärtskorrekturen der letzten Projektionen nun im Zeitraum 2022-2023 bei 6,8 % stabilisieren, bevor sie 2024 auf 6,7 % sinkt.
Das Wachstum der Arbeitsproduktivität wird 2022 im Einklang mit der vorübergehenden Konjunkturabschwächung und den relativ robusten Arbeitsmärkten voraussichtlich zurückgehen, bevor es 2023 wieder ansteigt. Der Rückgang der Jahreswachstumsrate der Arbeitsproduktivität je Beschäftigten ist auch auf Struktureffekte zurückzuführen, da sich das Wachstum im Dienstleistungssektor (der in der Regel eine geringere Produktivität aufweist als der gesamtwirtschaftliche Durchschnitt) beschleunigt hat, während das Wachstum im verarbeitenden Gewerbe (das in der Regel eine höhere Produktivität aufweist) zurückgegangen ist. Mittelfristig dürfte das Wachstum der Arbeitsproduktivität infolge des stärkeren Wirtschaftswachstums und der positiven Auswirkungen der Digitalisierung der Wirtschaft wieder an Fahrt aufnehmen und im Zeitraum 2023-2024 durchschnittlich rund 1,6 % betragen. Dies liegt deutlich über dem vor der Pandemie verzeichneten langfristigen Durchschnitt von 0,6 %.
Im Vergleich zu den Projektionen vom März 2022 wurde das Wachstum des realen BIP für 2022 um 0,9 Prozentpunkte und für 2023 um 0,7 Prozentpunkte nach unten korrigiert. Für 2024 wurde es um 0,5 Prozentpunkte nach oben korrigiert. Die Abwärtskorrektur der Aussichten für 2022 ist vor allem den negativen Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine auf die Energie- und Nahrungsmittelpreise, das Vertrauen und den Handel geschuldet. Grund für die Abwärtskorrektur des BIP-Wachstums im Jahr 2023 ist der statistische Unterhang aus dem Jahr 2022, während die Aufwärtskorrektur für 2024 eine durch das Abklingen der widrigen Faktoren bedingte konjunkturelle Belebung widerspiegelt.
Kasten 3
Abwärtsszenario im Zusammenhang mit den wirtschaftlichen Folgen der militärischen Aggression Russlands gegen die Ukraine
In diesem Kasten wird angesichts der Unsicherheit, mit der die wirtschaftlichen Aussichten für den Euroraum aufgrund des russischen Kriegs in der Ukraine behaftet sind, ein Abwärtsszenario mit Störungen der Energieversorgung im Euroraum, höheren Rohstoffpreisen, erhöhter Unsicherheit, schwächerem Handel und einer Verschlechterung der Finanzierungsbedingungen beschrieben. Das Abwärtsszenario ist im Vergleich zu den Basisprojektionen durch mehr negative Schocks für die Wirtschaftstätigkeit und – auf kurze Sicht – durch einen stärkeren Aufwärtsdruck auf die Inflation gekennzeichnet, während die Inflation mittelfristig niedriger ausfallen würde (Tabelle A). Ergänzt wird dieses Szenario durch Sensitivitätsanalysen zu den angenommenen Auswirkungen von Energieengpässen auf die Produktion und bezüglich der Energiepreisannahmen.
Tabelle A
Basisprojektionen und Abwärtsszenario für den Euroraum vom Juni 2022
Im Abwärtsszenario wird davon ausgegangen, dass die intensive Phase des Kriegs in der Ukraine länger anhält als im Basisszenario erwartet und bis ins Jahr 2023 andauert. Dies wird mit anhaltenden geopolitischen Spannungen und umfassenderen Sanktionen einhergehen, die zu größeren und länger andauernden Schocks im Euroraum führen werden. Das Szenario ist geprägt von einer Zunahme der Unsicherheit, die sich in einer deutlichen Neubewertung der Spreads von Unternehmensanleihen und der Aktienmärkte sowie in einer Verschlechterung der Kreditvergabebedingungen der Banken auf Ebene des Euroraums und auf globaler Ebene niederschlägt.
Das Szenario geht davon aus, dass Russland seine Energieexporte in den Euroraum ab dem dritten Quartal 2022 vollständig einstellt, was zu einer Rationierung der Gasversorgung, deutlich höheren Rohstoffpreisen, einer Abschwächung des Handels und verschärften Problemen in den globalen Wertschöpfungsketten führt. Sowohl die Öl- als auch die Gaspreise würden deutlich höher ausfallen als im Basisszenario. Angesichts der geringen Möglichkeiten für eine rasche Substitution der russischen Gaslieferungen wird angenommen, dass sich die europäischen Gaspreise bis zum vierten Quartal 2022 gegenüber dem Basisszenario verdoppeln. Die Ölpreise sind ebenfalls höher als im Basisszenario – in der Spitze um 65 % –, wobei davon ausgegangen wird, dass sich die Länder des Euroraums alternative Öllieferungen auf dem Weltmarkt sichern werden. Auch wenn mittelfristig mit einer allmählichen Neuausrichtung des Energiemarktes gerechnet wird, sind die Preise dennoch weiterhin höher als im Basisszenario (wobei die Gaspreise 2024 immer noch fast 110 % und die Ölpreise fast 35 % über dem Basisszenario liegen). Steigende Energiekosten und Düngemittelpreise sowie ein Rückgang der Getreideexporte aus Russland und der Ukraine würden auch die weltweiten Nahrungsmittelpreise in die Höhe treiben – mit einem Höchststand von knapp 30 % über dem im Basisszenario angenommenen Niveau. Die Störungen der Energieversorgung und die geringen Möglichkeiten für eine sofortige Substitution der Gaslieferungen aus Russland dürften eine gewisse Rationierung und Umverteilung von Ressourcen erforderlich machen, was zu Produktionsdrosselungen im Euroraum führen würde, insbesondere in energieintensiven Sektoren. Die Störungen der globalen Lieferketten würden sich kurzfristig verschärfen, aber bis Ende 2023 abklingen. Was die russische Wirtschaft betrifft, so ergibt sich im Szenario eine schwere Rezession, bei der die Produktion ähnlich schrumpft wie nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion.
Die Weltwirtschaft und der Welthandel (ohne Euroraum) würden über alle betrachteten Kanäle negativ beeinflusst werden, was die Auslandsnachfrage nach Produkten des Euroraums stark belasten würde. Letztere würde im Abwärtsszenario 2022 um rund 1,7 %, 2023 um rund 5 % und 2024 um rund 6 % unter dem im Basisszenario angenommenen Niveau liegen.
Das Abwärtsszenario würde ein schwächeres (aber immer noch positives) durchschnittliches Wachstum im Jahr 2022, einen Einbruch der Wirtschaftstätigkeit im Jahr 2023, gefolgt von einer robusten, aber unvollständigen Erholung im Jahr 2024 implizieren. Gegenüber dem Basisszenario würde das Wachstum des realen BIP im Euroraum im Abwärtsszenario 2022 um 1,5 Prozentpunkte und 2023 um 3,8 Prozentpunkte niedriger ausfallen, bevor es 2024 wieder um 0,9 Prozentpunkte darüber liegen würde (siehe Abbildung A). Das durchschnittliche Wachstum ist im Jahr 2022 immer noch positiv, was vor allem auf starke positive statistische Überhangseffekte zurückzuführen ist, das Quartalswachstum würde in der zweiten Jahreshälfte 2022 und Anfang 2023 jedoch negativ ausfallen. Eine der Hauptursachen für das negative BIP-Profil ist die Störung der Energieimporte aus Russland, die angesichts der geringen Möglichkeiten für eine sofortige Substitution von russischem Gas und des erwarteten Anstiegs der Nachfrage im Winter eine gewisse Rationierung erfordern dürfte, die wiederum zu Produktionsdrosselungen, insbesondere in energieintensiven Sektoren, führen würde. Auch wenn auf die Rezession eine kräftige Erholung folgen dürfte, da die Auswirkungen der Lieferengpässe aufgrund einer allmählichen Substitution von Energiequellen und wirtschaftlicher Anpassungen nachlassen, bleibt das BIP im Abwärtsszenario zum Ende des Projektionszeitraums hinter dem Basisszenario zurück. Das niedrigere Konjunkturniveau führt zu einem anhaltenden Anstieg der Arbeitslosenquote (siehe Tabelle A).
Was die Inflation anbelangt, so führt der kräftige Anstieg der Rohstoffpreise zu einem starken Aufwärtsdruck, wodurch sich die erwartete Phase einer erhöhten Inflation verlängert. Die höheren Preise für Energie- und Nahrungsmittelrohstoffe sowie die energiebedingten Produktionsdrosselungen würden 2022 und insbesondere 2023 zu einer deutlich höheren Gesamtinflation als im Basisszenario führen (siehe Abbildung A). Auch die verzögerten indirekten Effekte der höheren Energie- und Nahrungsmittelpreise dürften die HVPI-Inflation ohne Energie und Nahrungsmittel länger auf einem höheren Niveau halten, wodurch der Abwärtsdruck durch die schwächere Nachfrage und die höhere Arbeitslosigkeit mehr als ausgeglichen würde. Dennoch würden 2024 rückläufige Energiepreise zusammen mit dem Abwärtsdruck aufgrund einer schwächeren Nachfrage dominieren, wobei die Raten sowohl für die HVPI-Inflation als auch für die HVPI-Inflation ohne Energie und Nahrungsmittel unter die des Basisszenarios sinken würden.
Abbildung A
Auswirkungen auf das Wachstum des realen BIP und die HVPI-Inflation im Euroraum im Abwärtsszenario gegenüber den Basisprojektionen vom Juni 2022
Die Schätzungen zum Umfang der Produktionsdrosselungen aufgrund von Energieengpässen sind mit erheblicher Unsicherheit behaftet. Dies gilt insbesondere für den Grad der Substitution zwischen importierten Energieträgern und inländischen Energiequellen. Zur Verdeutlichung dieser Unsicherheit wird ein Satellitenmodell mit dem BASE-Modell der EZB kombiniert, um die Auswirkungen einer Veränderung dieser Substitutionselastizität um +/− 0,01 zu ermitteln.[7] Verglichen mit dem Abwärtsszenario würde die minimale (maximale) Auswirkung auf das Wachstum des realen BIP im Jahr 2023 −1,1 Prozentpunkte (+0,6 Prozentpunkte) betragen, wenn die Substitutionselastizität niedriger (höher) ist. Die jeweilige maximale (minimale) Auswirkung auf die Inflation würde 2024 hingegen rund 0,2 Prozentpunkte (−0,1 Prozentpunkte betragen). Die Auswirkungen auf das BIP dürften sich 2024 stabilisieren (siehe Abbildung B).
Abbildung B
Sensitivitätsanalyse zu Produktionsdrosselungen aufgrund von Energieengpässen: Wachstum des realen BIP und HVPI-Inflation
Eine weitere Sensitivitätsanalyse betrachtet die Unsicherheit in Bezug auf die Energiepreisentwicklung im Abwärtsszenario. Unter der Annahme einer mittelfristig geringeren Substitution der Gasversorgung und einer stärkeren Reaktion des Ölpreises nach einer massiven Störung der russischen Energieexporte wird davon ausgegangen, dass sowohl die Öl- als auch die Gaspreise im Jahr 2024 um etwa 45 % höher sind als im Abwärtsszenario (siehe Abbildung C). Die makroökonomischen Auswirkungen dieser kontrafaktischen Energiepreisentwicklung werden mit einer Reihe von Modellen bewertet, die regelmäßig in den gesamtwirtschaftlichen Euroraum-Projektionen von Fachleuten der EZB bzw. des Eurosystems verwendet werden. Insgesamt deuten die Ergebnisse darauf hin, dass das Wachstum des realen BIP im Jahr 2023 (2024) um 0,1 Prozentpunkte (0,2 Prozentpunkte) niedriger und die HVPI-Inflation um 0,5 Prozentpunkte (0,8 Prozentpunkte) höher ausfallen wird als im Abwärtsszenario (siehe Tabelle B).
Abbildung C
Sensitivitätsanalyse zu Rohstoffpreisen: divergierende Entwicklungsverläufe der Öl- und Gaspreise
Tabelle B
Sensitivitätsanalyse zu Rohstoffpreisen: makroökonomische Auswirkungen von ungünstigeren Entwicklungsverläufen der Energiepreise
Das Abwärtsszenario lässt eine Reihe von Faktoren außer Acht, die das Ausmaß und die Dauer der Auswirkungen ebenfalls beeinflussen können. Insbesondere liegen dem Szenario dieselben fiskal- und geldpolitischen Annahmen zugrunde wie den Basisprojektionen vom Juni 2022. Wenn die im Szenario beschriebenen Entwicklungen eintreten, könnten die Regierungen zusätzliche Maßnahmen ergreifen, um die Auswirkungen der stärkeren Energiepreiserhöhungen auf Verbraucher und Unternehmen abzufedern, und die Geldpolitik könnte reagieren. Darüber hinaus sind die geschätzten Auswirkungen von Störungen der Gasversorgung auf die Produktion äußerst unsicher und hängen unter anderem von den Möglichkeiten einer Substitution (z. B. durch Gas aus anderen Ländern), der Priorisierung und Umverteilung von Ressourcen und Nachfrage, der Saisonalität und der Entwicklung der Speicherkapazitäten ab. Im Falle einer stärkeren Substitution und einer schnelleren wirtschaftlichen Anpassung könnten die wirtschaftlichen Auswirkungen milder ausfallen als im Szenario dargestellt. Andererseits birgt ein länger andauernder und intensiverer Konflikt das Risiko stärkerer und länger anhaltender Auswirkungen. Neben den im Szenario angenommenen höheren Energie- und Nahrungsmittelpreisen könnten auch andere Rohstoffpreise (etwa jene für Metalle und andere Rohstoffe) angesichts der Rolle Russlands und der Ukraine bei der weltweiten Versorgung mit diesen Rohstoffen durch den Konflikt stark beeinflusst werden.
2 Haushaltsaussichten
Gegenüber den Projektionen vom März 2022 wurden weitere substanzielle finanzpolitische Stimulierungsmaßnahmen in das Basisszenario aufgenommen. Darin spiegeln sich in erster Linie die weiteren Maßnahmen der Regierungen als Reaktion auf die rasant steigenden Energiepreise seit der Invasion Russlands in der Ukraine und andere kriegsbedingte Ausgaben wider, die insgesamt auf nahezu 1 % des BIP des Euroraums im Jahr 2022 geschätzt werden.[8] Etwa ein Drittel dieser fiskalischen Impulse – insbesondere die Ausgaben zur Stärkung der Verteidigungskapazitäten und für die Flüchtlingshilfe – wird sich den Projektionen zufolge auch 2023 und 2024 auf den Haushalt auswirken. Diese zusätzlichen Maßnahmen im Jahr 2022 und ihre teilweise Aufhebung im Jahr 2023 erklären weitgehend die gegenüber den Projektionen vom März 2022 vorgenommenen Korrekturen des finanzpolitischen Kurses (siehe Tabelle 1). Abgesehen davon werden andere diskretionäre haushaltspolitische Effekte den finanzpolitischen Kurs beeinflussen, insbesondere im Zeitraum 2023-2024. Diese ergeben sich aus staatlichen Investitionen und Transferleistungen sowie weiteren Senkungen der direkten Steuern und der Sozialbeiträge. Bei den staatlichen Investitionen wird im Basisszenario zusätzlich zu den höheren Militärausgaben von mehr Mitteln aus dem NGEU-Programm als in den Projektionen vom März ausgegangen, was zum Teil auf eine Verschiebung aus dem Jahr 2021 zurückzuführen ist. Die höheren Transferleistungen beziehen sich in erster Linie auf weitere Aufwärtskorrekturen der Wachstumsrate der staatlichen Altersversorgung, die zumeist an die Inflation oder die Entgeltentwicklung in der Gesamtwirtschaft gekoppelt ist. Insgesamt dürfte sich der um Zuschüsse aus dem NGEU-Programm bereinigte finanzpolitische Kurs des Euroraums nach der starken Expansion im Jahr 2020 aufgrund nichtdiskretionärer Faktoren auf der Einnahmenseite[9] im Jahr 2021 verschärft haben und insbesondere 2023 etwas weiter verschärfen, was vor allem auf das Auslaufen des Hilfspakets für die Covid-19-Krise und die Reduzierung der Stützungsmaßnahmen für die Energiepreise und die Kriegskosten zurückzuführen ist.
Der Haushaltssaldo des Euroraums dürfte sich im Zeitraum bis 2024 weiterhin kontinuierlich verbessern, jedoch in deutlich geringerem Maß als in den Projektionen vom März 2022 erwartet. Über den Projektionszeitraum hinweg dürfte die Verbesserung des Haushaltssaldos hauptsächlich von der zyklischen Komponente, gefolgt von dem geringeren konjunkturbereinigten Primärdefizit getragen werden. Zum Ende des Projektionszeitraums wird der Haushaltssaldo den Projektionen zufolge −2,4 % des BIP betragen und somit deutlich unter dem Vorkrisenniveau (−0,7 %) bleiben. Nach dem kräftigen Anstieg im Jahr 2020 wird davon ausgegangen, dass die aggregierte Staatsverschuldung im Euroraum über den gesamten Projektionszeitraum hinweg sinken und 2024 bei nahe 90 % des BIP liegen wird, also immer noch über dem vor der Pandemie verzeichneten Niveau (84 %). Dieser Rückgang ist in erster Linie auf günstige Zins-Wachstums-Differenziale aufgrund des nominalen BIP-Wachstums zurückzuführen, die die anhaltenden, wenn auch sinkenden Primärdefizite mehr als ausgleichen. Gegenüber den Projektionen vom März 2022 wurde der Haushaltssaldo trotz eines besseren Ergebnisses für 2021 deutlich nach unten korrigiert. Grund hierfür sind eine Verschlechterung der zyklischen Komponente, die im Basisszenario berücksichtigten zusätzlichen Stimulierungsmaßnahmen sowie höhere Zinszahlungen, insbesondere in hoch verschuldeten Ländern. Diese Faktoren haben auch dazu geführt, dass die Entwicklung der aggregierten Schuldenquote im Euroraum über den gesamten Projektionszeitraum hinweg nach oben korrigiert wurde.
3 Preise und Kosten
Die Gesamtinflation dürfte auch in den kommenden Quartalen erhöht bleiben (siehe Abbildung 3). Nach dem rasanten Anstieg in den letzten Monaten, zu dem alle Hauptkomponenten beigetragen haben, dürfte die Gesamtinflation in den kommenden Quartalen leicht zurückgehen, wenngleich sie weiterhin sehr hoch bleibt.[10] Ausschlaggebend für die Inflation ist nach wie vor der Energiesektor, wobei alle wichtigen Teilkomponenten (Brennstoffe, Strom und Gas) im Jahresverlauf und Anfang 2023 eine starke Preisdynamik verzeichnen. Dies ist unter anderem auf die anhaltend hohen Großhandelspreise für Gas und Öl sowie auf die im historischen Vergleich besonders hohen Raffineriemargen für Öl zurückzuführen. Dies folgte auf vermehrte Bedenken hinsichtlich der Versorgungssicherheit aufgrund der russischen Invasion in der Ukraine und der weltweiten Verknappung der Raffineriekapazitäten. Der Einfluss dieser Faktoren auf den Energiepreisinflation im Jahr 2022 wird durch finanzpolitische Maßnahmen zur Senkung der von den privaten Haushalten zu zahlenden Energiepreise nur geringfügig gedämpft. Bleiben neue Schocks bei den Rohstoffpreisen für Energie aus, dürfte die Energiepreisinflation ab Ende 2022 aufgrund negativer Basiseffekte und der angenommenen abwärtsgerichteten Ölpreisterminkurve deutlich zurückgehen. Nach den zuletzt kräftigen Preissteigerungen dürfte die Inflation bei Nahrungsmitteln im Sommer weiter anziehen und gegen Ende des Jahres allmählich nachlassen. Verantwortlich für die hohe Inflation bei Nahrungsmitteln sind vor allem die verzögerten Auswirkungen der Energieschocks auf den verschiedenen Stufen der Nahrungsmittelproduktionskette (einschließlich ihrer Auswirkungen auf die Düngemittelpreise), die höheren Preise für Nahrungsmittelrohstoffe (unter anderem aufgrund von Lieferstörungen im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine) sowie die Auswirkungen von Lohnerhöhungen (so beeinflusst etwa die Anhebung der Mindestlöhne in mehreren Ländern des Euroraums den Nahrungsmittelsektor stärker als andere Sektoren). Auch die HVPI-Inflation ohne Energie und Nahrungsmittel wird 2022 voraussichtlich über weite Strecken auf hohem Niveau bleiben. Die anhaltend hohen Inflationsraten spiegeln die Auswirkungen von Versorgungsengpässen, die sich (infolge des Kriegs in der Ukraine und der Covid-19-bedingten Lockdowns in China) voraussichtlich verstärken werden, sowie die starke Nachfrage nach kontaktintensiven Dienstleistungen nach der Lockerung der Covid-19-Einschränkungen im Euroraum und indirekte Auswirkungen des sprunghaften Anstiegs der Energie- und Nahrungsmittelpreise wider.
Abbildung 3
HVPI des Euroraums
Den Projektionen zufolge wird die Inflation 2023 auf 3,5 % und 2024 weiter auf 2,1 % sinken. Die HVPI-Inflation dürfte ab Ende 2022 allmählich zurückgehen, vor allem aufgrund von abwärtsgerichteten Basiseffekten bei der Energiekomponente und des angenommenen Rückgangs des Ölpreises im Einklang mit den Terminkontraktpreisen. Die anhaltende Normalisierung der Geldpolitik, soweit sie sich in höheren Zinsannahmen niederschlägt, wird sich mit den üblichen Transmissionsverzögerungen auch dämpfend auf die Inflation auswirken. Gegen Ende des Projektionszeitraums dürfte der Beitrag der Energiepreisinflation vernachlässigbar sein, da die negativen Auswirkungen der abwärtsgerichteten Öl- und Gaspreisterminkurve durch verzögerte Effekte früherer Großhandelspreise für Gas und Strompreissteigerungen sowie durch die in einigen Ländern ergriffenen Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Klimawandel teilweise ausgeglichen werden. Auch die Nahrungsmittelinflation dürfte sich ab 2023 abschwächen, wenn der Aufwärtsdruck durch die Energieeinsatzkosten, die Düngemittelpreise und die Preise für Nahrungsmittelrohstoffe nachlässt. Einige Abwärtseffekte, die sich aus den rückläufigen Vorleistungskosten ergeben, dürften jedoch zum Teil durch verzögerte Auswirkungen des Anstiegs der Lohneinsatzkosten und der Kosten im Zusammenhang mit der Umstellung der Nahrungsmittelindustrie auf eine ökologisch nachhaltigere Produktion neutralisiert werden. Nach dem Höchststand im Jahr 2022 dürfte die HVPI-Inflation ohne Energie und Nahrungsmittel über den Projektionszeitraum hinweg zurückgehen, da der von Versorgungsengpässen und dem Wiederhochfahren der Wirtschaft ausgehende Aufwärtsdruck nachlässt. Es wird jedoch erwartet, dass sie bis zum Ende des Projektionszeitraums über ihrem langfristigen Durchschnitt bleibt und im Jahr 2024 bei 2,3 % liegt. Die Projektion für die HVPI-Inflation ohne Energie und Nahrungsmittel geht von einem anhaltenden Aufwärtsdruck durch die indirekten Auswirkungen der hohen Energie- und Nahrungsmittelpreise aus, der jedoch über den Projektionszeitraum hinweg abnehmen dürfte. Im Gegensatz dazu dürften die Löhne die zugrunde liegende Inflation über den gesamten Projektionszeitraum hinweg stützen. Nach kräftigen Zuwächsen im Jahr 2021 dürften die Gewinnmargen die höheren Lohnkosten auf kurze Sicht bis zu einem gewissen Grad abfedern. Im Jahr 2024 dürften die Margen die Verluste jedoch teilweise wieder ausgleichen. Die längerfristigen Inflationserwartungen dürften weiterhin beim Inflationsziel der EZB von 2 % verankert sein. Die Basisprojektionen sind aufgrund des Kriegs in der Ukraine mit erheblichen Unsicherheiten behaftet. In Kasten 3 wird ein alternatives Abwärtsszenario vorgestellt.
Den Projektionen zufolge wird das Arbeitnehmerentgelt je Arbeitnehmer von 4,2 % im Jahr 2022 auf 4,3 % im Jahr 2023 steigen und 2024 auf 3,7 % sinken. Diese Raten liegen deutlich über dem historischen Durchschnitt seit 1999 (2,2 %) und auch über dem vor der großen Finanzkrise verzeichneten Durchschnitt von 2,6 %. Das Lohnwachstum dürfte durch die angespannte Arbeitsmarktlage, höhere Mindestlöhne und einige Effekte des Ausgleichs für die hohen Inflationsraten gestützt werden. Kasten 4 enthält eine Sensitivitätsanalyse zu den makroökonomischen Auswirkungen einer möglichen stärkeren Lohnindexierung. Wenngleich das Wachstum der Lohnstückkosten ungeachtet der Verzerrungen durch die Programme zur Erhaltung von Arbeitsplätzen, die sich auf die Wachstumsraten im Zeitraum 2020-2022 auswirken, auf kurze Sicht kräftig ausfallen dürfte, wird es über den Projektionszeitraum hinweg voraussichtlich zurückgehen. Dieser Rückgang ist zunächst auf die ab Ende 2022 erwartete Erholung der Produktivität je Beschäftigten und anschließend auch auf die für 2024 projizierte Abschwächung des Lohnwachstums zurückzuführen.
Der Importpreisdruck dürfte 2022 spürbar stärker sein als der inländische Preisdruck, aber in den späteren Jahren des Projektionszeitraums deutlich nachlassen. Die Importpreisinflation wird 2022 voraussichtlich hoch ausfallen. Dies ist vor allem auf steigende Öl- und Rohstoffpreise (außer Energie) sowie auf einen durch Versorgungsengpässe bedingten Anstieg einiger Preise für importierte Vorleistungen zurückzuführen. Die Terms of Trade verschlechtern sich 2022 zwar beträchtlich, allerdings dürften die Verluste dadurch, dass die Exporteure des Euroraums in der Lage sind, ihre Preise ebenfalls anzuheben, etwas begrenzt werden. Mit dem Rückgang der Importpreise in den Jahren 2023 und 2024 werden sich die Terms of Trade den Projektionen zufolge leicht verbessern.
Die Aussichten für die HVPI-Inflation wurden gegenüber den Projektionen vom März 2022 nach oben korrigiert: für 2022 um 1,7 Prozentpunkte, für 2023 um 1,4 Prozentpunkte und für 2024 um 0,2 Prozentpunkte. Die Korrekturen sind allen Hauptkomponenten geschuldet, wobei die Korrekturen bei Nahrungsmitteln und Energie stärker zu den kurzfristigen Korrekturen beitragen, während die Korrekturen für 2024 fast ausschließlich durch die HVPI-Inflation ohne Energie und Nahrungsmittel bedingt sind. Grund für diese Veränderungen gegenüber den vorherigen Projektionen sind die jüngsten unerwarteten Aufwärtskorrekturen von Daten, ein stärkerer und länger anhaltender Aufwärtsdruck durch die Energiepreise (Öl und Gas), der Anstieg der Vorleistungskosten für den Nahrungsmittelsektor im Zusammenhang mit den höheren Energiepreisen und den angenommenen höheren Preisen für Nahrungsmittelrohstoffe, die länger anhaltenden Lieferstörungen, das stärkere Lohnwachstum und der Rückgang des effektiven Euro-Wechselkurses. Die genannten Faktoren überwiegen bei weitem den disinflationären Einfluss der schwächeren Wachstumsaussichten im Zusammenhang mit dem Konflikt in der Ukraine und den höheren Zinsannahmen.
Kasten 4
Sensitivitätsanalyse: Auswirkungen einer stärkeren Lohnindexierung
Der sprunghafte Anstieg der Inflation hat das Risiko von Zweitrundeneffekten auf die Inflation über höhere Lohnforderungen verschärft. Der jüngste Anstieg der Inflation auf in der Geschichte des Euroraums beispiellose Raten ist ein Faktor, der sich erheblich auf die Aussichten für die Lohnentwicklung auswirken kann, also auf die erste Stufe potenzieller Rückkopplungsschleifen von Zweitrundeneffekten auf die Preise. Im vorliegenden Kasten werden die makroökonomischen Auswirkungen einer möglichen durch die erhöhte Inflation bedingten Veränderung des Verhältnisses zwischen Löhnen und Preisen untersucht.[11]
Eine modellgestützte Analyse zeigt, dass ein temporärer Lohndruck, der sich aus einer stärkeren Inflationsindexierung der Löhne ergibt, erhebliche Auswirkungen auf die Inflationsdynamik haben kann. Zur Beurteilung der Sensitivität der aus einer stärkeren Lohnindexierung resultierenden Inflations- und Lohnaussichten wird das BASE-Modell der EZB verwendet.[12] Darin werden die Preis- und Lohninflation anhand von Phillips-Kurven unter Einbeziehung einer Indexierungskomponente sowie von erwartungs- und grenzkostenbasierten Faktoren modelliert. Ausgehend vom Basisszenario der Eurosystem-Projektionen vom Juni 2022 wird in der kontrafaktischen Simulation eine stärkere Kopplung der Löhne an die Preisentwicklung in der Vergangenheit erwartet.[13] Der höhere Indexierungsgrad bewirkt, dass die Löhne stärker auf Preissteigerungen in der Vergangenheit reagieren, was im Projektionszeitraum zu einer höheren Inflation führt. Die jährliche Lohninflation liegt im Durchschnitt 0,5 Prozentpunkte über dem Basisszenario der Projektionen vom Juni 2022 (siehe Abbildung A, blaue Balken). Höhere Lohnforderungen schlagen sich in einem weiteren Anstieg der Preisinflation nieder, die im Jahr 2023 um 0,1 Prozentpunkte und im Jahr 2024 um 0,2 Prozentpunkte über dem Basisszenario liegt.
Abbildung A
Makroökonomische Effekte einer stärkeren Lohnindexierung
Die Simulation deutet auf einen Rückgang der Beschäftigung und einen erheblichen Zielkonflikt zwischen einem höheren Ausgleich der Reallöhne und dem Erhalt von Arbeitsplätzen hin. Höhere Reallohnkosten belasten die Nachfrage nach Arbeitskräften, wobei die Beschäftigung im Jahr 2024 um 0,2 % niedriger ausfällt als im Basisszenario.[14] Allerdings verhält sich die Nachfrage nach Arbeitskräften im BASE-Modell der EZB träge. Über den Projektionszeitraum hinweg steigt daher das Realeinkommen der privaten Haushalte, da der Rückgang der Beschäftigung den Anstieg der Reallöhne nicht aufwiegt. Zunächst wirken sich die steigenden Reallöhne positiv auf den Konsum und die Konjunktur aus, wobei das Wachstum des realen BIP sowohl 2023 als auch 2024 um rund 0,1 Prozentpunkte über dem Basisszenario liegt. Ab der zweiten Jahreshälfte 2024 lässt der positive Effekt auf das reale BIP nach, da der Anstieg des realen Pro-Kopf-Einkommens von den negativen Auswirkungen auf die Beschäftigung neutralisiert wird. Trotz des kurzfristigen Anstiegs des realen BIP verschlechtern sich somit die Beschäftigungsaussichten bei einer stärkeren Lohnindexierung deutlich. In diesen modellgestützten Simulationen werden keine zusätzlichen Kanäle berücksichtigt, die zu einer unmittelbareren Konjunktureintrübung führen würden, insbesondere aufgrund der größeren Unsicherheit bezüglich der Arbeitsmarktaussichten sowie der vorgezogenen Anpassungen der Haushalte und Unternehmen an die erwarteten ungünstigen Arbeitsmarktbedingungen.[15]
Kasten 5
Sensitivitätsanalyse: divergierende Entwicklungen der Energiepreise
Angesichts der erheblichen Unsicherheiten, mit denen die künftige Entwicklung der Energiepreise behaftet ist, werden in dieser Sensitivitätsanalyse die mechanischen Auswirkungen von divergierenden Energiepreisentwicklungen auf die Basisprojektionen untersucht. Die alternativen ab- bzw. aufwärtsgerichteten Entwicklungen ergeben sich aus dem 25. und 75. Perzentil der durch Optionen gewonnenen neutralen Dichten für den Ölpreis am 17. Mai 2022 (dem Redaktionsschluss der für die Projektionen vom Juni 2022 maßgeblichen technischen Annahmen). Die Annahmen des Basisszenarios für den Ölpreis liegen etwa in der Mitte der Interquartilsspanne, was darauf schließen lässt, dass die Risiken in beide Richtungen nicht nennenswert verzerrt sind. Da es keine vergleichbaren Verteilungen für die Gaspreise gibt, werden sie aus dem 25. und 75. Perzentil einer Verteilung abgeleitet, die auf den jüngsten Prognosefehlern der Großhandelsterminpreise für Gas basiert.[16] Bei einem dritten Entwicklungsverlauf wird unterstellt, dass sowohl die Öl- als auch die Gaspreise konstant auf dem Niveau bleiben, das sie in den beiden Wochen vor dem 17. Mai 2022 hatten.
Die Auswirkungen dieser divergierenden Entwicklungsverläufe werden anhand einer Reihe von makroökonomischen Modellen beurteilt, die von Fachleuten des Eurosystems bzw. der EZB in den Projektionen verwendet werden.[17] Die durchschnittlichen Auswirkungen auf das Produktionswachstum und die Inflation für diese Modelle sind der nachstehenden Tabelle zu entnehmen. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die größten nach oben gerichteten Abweichungen von den Basisprojektionen zur Entwicklung der HVPI-Inflation bei den 75. Perzentilen für die letzten Jahre des Projektionszeitraums und bei den konstanten Öl- und Gaspreisen für 2024 auftreten. Die HVPI-Inflation liegt im gesamten Projektionszeitraum für die angenommenen konstanten Preise und für den Entwicklungsverlauf des 75. Perzentils über 2 %. In dem auf dem 25. Perzentil der durch Optionen gewonnenen Dichten basierenden Szenario hingegen sinkt die HVPI-Inflation bis 2024 auf 1,4 %. Der Effekt auf das Wachstum des realen BIP beträgt 2023 und 2024 für die angenommenen konstanten Preise und das 75. Perzentil −0,1 Prozentpunkte, während der Entwicklungsverlauf des 25. Perzentils ein um 0,2 Prozentpunkte höheres Wachstum impliziert.
Auswirkungen divergierender Energiepreisentwicklungen
Kasten 6
Prognosen anderer Institutionen
Sowohl von internationalen Organisationen als auch von privatwirtschaftlichen Institutionen liegen Prognosen für den Euroraum vor. Diese Prognosen sind jedoch untereinander bzw. mit den Eurosystem-Projektionen nicht direkt vergleichbar, da diese zu verschiedenen Zeitpunkten fertiggestellt wurden. Darüber hinaus werden bei diesen Projektionen unterschiedliche Methoden zur Ableitung von Annahmen über fiskalische, finanzielle und außenwirtschaftliche Variablen (einschließlich Öl- und sonstiger Rohstoffpreise) verwendet. Schließlich werden bei den verschiedenen Prognosen unterschiedliche Methoden der Kalenderbereinigung angewandt.
Vergleich der jüngsten Prognosen zum Wachstum des realen BIP und zur HVPI-Inflation im Euroraum
Die Eurosystem-Projektionen vom Juni 2022 stehen weitgehend im Einklang mit anderen Prognosen zum BIP-Wachstum, während sie für die Inflation über den meisten anderen Projektionen liegen, insbesondere für 2023. Die Eurosystem-Projektionen für das Wachstum stehen weitgehend im Einklang mit anderen Prognosen, mit Ausnahme des Jahres 2024, in dem die Eurosystem-Projektionen etwas höher ausfallen. Bezüglich der Inflation liegen die Eurosystem-Projektionen über den meisten anderen Prognosen, insbesondere im Jahr 2023, wahrscheinlich aufgrund des späteren Redaktionsschlusses und der aktuelleren technischen Annahmen, die auf eine stärkere Persistenz des Preisdrucks und die daraus resultierende Inflation hindeuten könnten. Die OECD-Prognose für 2023 liegt deutlich über den Eurosystem-Projektionen und anderen Prognosen. Dies ist größtenteils auf die Ölpreisannahme der OECD zurückzuführen, die von einem deutlichen Anstieg Anfang 2023 ausgeht, während die Eurosystem-Projektionen davon ausgehen, dass die Ölpreise den Terminkontraktpreisen folgen werden, was auf eine rückläufige Entwicklung hindeutet (siehe Kasten 1).
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Informationen zur Fachterminologie finden sich im EZB-Glossar (nur auf Englisch verfügbar).
HTML ISSN 2529-4652, QB-CF-22-001-DE-Q
Redaktionsschluss für technische Annahmen, beispielsweise zu den Ölpreisen und Wechselkursen, war der 17. Mai 2022. Die vorliegenden gesamtwirtschaftlichen Projektionen für den Euroraum wurden am 24. Mai 2022 fertiggestellt. Sie beziehen sich auf den Zeitraum 2022 bis 2024. Bei ihrer Interpretation ist zu berücksichtigen, dass Projektionen für einen so langen Zeitraum mit sehr großer Unsicherheit behaftet sind. Siehe EZB, Von Experten des Eurosystems erstellte gesamtwirtschaftliche Projektionen für das Euro-Währungsgebiet – eine Bewertung, Monatsbericht Mai 2013. Die den ausgewählten Tabellen und Abbildungen zugrunde liegenden Daten sind unter http://www.ecb.europa.eu/pub/projections/html/index.de.html abrufbar. Eine Datenbank mit allen früheren gesamtwirtschaftlichen Projektionen der Fachleute der EZB und des Eurosystems findet sich unter https://sdw.ecb.europa.eu/browseSelection.do?node=5275746.
Der Vorausschätzung von Eurostat zufolge, die nach Abschluss der Projektionen veröffentlicht wurde, lag die HVPI-Gesamtinflation im Mai 2022 bei 8,1 % und damit etwas höher als in den Eurosystem-Projektionen erwartet. Eine mechanische Aktualisierung der Projektionen würde für 2022 eine Inflationsrate von 7,1 % ergeben.
Diese Schätzung des BIP-Wachstums wurde am 8. Juni 2022 nach Abschluss der von Fachleuten des Eurosystems erstellten Projektionen veröffentlicht, die auf Schnellschätzungen (0,3 %) beruhen. Die Korrektur hat nach Einschätzung von Fachleuten der EZB nur begrenzte Auswirkungen auf die Projektionen für den Euroraum.
Die Annahme für die nominalen Renditen zehnjähriger Staatsanleihen im Euroraum beruht auf dem gewichteten Durchschnitt der Renditen der zehnjährigen Benchmark-Anleihen der Länder. Diese Renditen werden mit den jährlichen BIP-Zahlen gewichtet und anhand eines Zukunftsprofils fortgeschrieben, das aus der Zinsstrukturkurve der EZB für die Zehnjahres-Pari-Rendite aller Anleihen des Euroraums abgeleitet wird. Dabei wird die anfängliche Abweichung zwischen den beiden Reihen über den Projektionszeitraum hinweg konstant gehalten. Die Abstände zwischen länderspezifischen Staatsanleiherenditen und dem entsprechenden Euroraum-Durchschnitt werden über den Projektionszeitraum hinweg als konstant angenommen.
Die Annahmen für die Erdgaspreise beruhen auf den Dutch TTF Gas Futures. Die von Fachleuten des Eurosystems erstellten Projektionen orientieren sich auch an den technischen Annahmen für Großhandelspreise für Strom, die auf den Terminkontraktpreisen in den größten Ländern des Euroraums beruhen.
Tobin’s Q entspricht dem Wert eines bestehenden Hauses dividiert durch seine Baukosten.
Die Substitutionselastizität für die Produktionsdrosselungen im Abwärtsszenario wird mithilfe des CES-Produktionsfunktionsansatzes in R. Bachmann, D. Baqaee, C. Bayer, M. Kuhn, A. Löschel, B. Moll, A. Peichl, K. Pittel und M. Schularick „What If? The Economic Effects for Germany of a Stop of Energy Imports from Russia“, ECONtribute Policy Brief, Nr. 28/2022, erweitert in A. Borin, P. O. Conteduca, E. Di Stefano, M. Mancini, V. Gunnella und L. Panon, 2022 (erscheint in Kürze), ermittelt. Diese Elastizität bezieht sich auf die Möglichkeit, importierte Energie durch inländische Energieressourcen zu ersetzen, oder, allgemeiner ausgedrückt, auf den Grad der Bereitschaft der Wirtschaftsakteure, ihre Ausgaben von importierter Energie auf andere Produkte umzuschichten. Im Euroraum wird die Elastizität auf etwa 0,04 geschätzt. Um die Sensitivität der Entwicklung des realen BIP und der entsprechenden Inflationsreaktion auf unterschiedliche Grade der Substituierbarkeit zu messen, wurde die Elastizität um +/− 0,01 verändert, und die Auswirkungen dieser Veränderung auf die makroökonomischen Variablen wurden mit Hilfe des BASE-Modells der EZB ermittelt, wobei dasselbe Verhältnis von Nachfrage- und Angebotsschocks wie beim Abwärtsszenario angenommen wurde. Zum BASE-Modell der EZB siehe E. Angelini, N. Bokan, K. Christoffel, M. Ciccarelli und S. Zimic „Introducing ECB-BASE: The blueprint of the new ECB semi-structural model for the euro area“, Working Paper Series, Nr. 2315, EZB, 2019.
Diese neuen Maßnahmen werden sich im Jahr 2022 schätzungsweise mit 0,4 Prozentpunkten auf das Wachstum und mit −0,4 Prozentpunkten auf die Inflation auswirken. Im Jahr 2023 dürften die Auswirkungen auf das Wachstum aufgrund der zeitlichen Planung und der Struktur der Maßnahmen abklingen, während sich die Auswirkungen auf die Inflation weitgehend umkehren dürften.
Hauptsächlich aus Einnahmen, die schneller wachsen als ihre makroökonomischen steuerlichen Bezugsgrößen, und anderen unerwarteten Mehreinnahmen. Diese Faktoren werden sich den Projektionen zufolge ab 2022 umkehren, wenn auch nur teilweise und in geringerem Maße als in den Projektionen vom März angenommen.
Der Vorausschätzung von Eurostat zufolge, die nach Abschluss der Projektionen veröffentlicht wurde, lag die HVPI-Gesamtinflation im Mai 2022 bei 8,1 % und damit etwas höher als in den Eurosystem-Projektionen erwartet. Eine mechanische Aktualisierung der Projektionen ergäbe für 2022 eine Inflationsrate von 7,1 %.
Aktuellen Analysen der EZB zufolge sind formale Lohnindexierungssysteme im Euroraum kaum verbreitet. Siehe EZB, Lohnindexierung im privaten Sektor des Euro-Währungsgebiets: mögliche Relevanz für den Einfluss der Inflation auf die Löhne, Wirtschaftsbericht 7/2021.
Weitere Informationen zum BASE-Modell der EZB finden sich in Fußnote 7.
Dies wird durch eine Erhöhung des Parameters zur Erfassung der Lohnindexierung in der Lohn-Philips-Kurve des BASE-Modells der EZB um 25 % von 0,39 (geschätzter Wert auf Basis historischer Daten) auf 0,5 simuliert.
Die Auswirkungen auf die Erwerbsbevölkerung sind vernachlässigbar. Das bedeutet, dass die Arbeitslosenquote ungefähr im selben Verhältnis steigt, wie die Beschäftigung zurückgeht.
Die Simulation erfolgt unter der Annahme vergangenheitsorientierter Erwartungen. Die Akteure rechnen also nicht mit einer künftigen Verschlechterung der Beschäftigungsaussichten.
Die früheren Prognosefehler für Gaspreisterminkontrakte wurden für den Zeitraum von Januar 2017 bis Februar 2022 berechnet.
Da die in dieser Analyse verwendeten makroökonomischen Modelle häufig nur Gleichungen für die Ölpreise enthalten (zum Teil aufgrund des historischen Gleichlaufs von Öl- und Gaspreisen), werden die divergierenden Entwicklungsverläufe für Öl und Gas in einem synthetischen Index kombiniert. Dieser ist ein gewichteter Durchschnitt der Öl- und Gaspreisentwicklung auf Basis der vom HWWI gemeldeten Importgewichte des Euroraums (rund 80 % für Öl und 20 % für Gas). Der Einfluss des synthetischen Index wird dann anhand der Ölpreiselastizität beurteilt. Diese Approximation vergrößert die Unsicherheit der Ergebnisse zusätzlich.
- 9 June 2022
- 23 June 2022